Sinowjew-Klub von Rossiya Segodnya: Wenn man sich an den August 1991 erinnert (de.sputniknews.com)

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Wenn man sich an den August 1991 erinnert

„Gezielt auf den Kommunismus, getroffen wurde jedoch Russland“
A.    Sinowjew
„Wir werden samt dem Verwundeten nur unser drei sein, denn diesen Jungen können wir nicht mitrechnen, und dennoch wird es heißen, wir seien vier Mann gewesen.“
„Ja, aber zurückweichen!“ entgegnete Porthos.
„Das ist schwierig“, sagte Athos.
„Das ist unmöglich“, entgegnete Aramis
A.Dumas „Die drei Musketiere“

Was steht hinter der verbreiteten These über das Ende der Geschichte

Wieder August. Laut dem US-Philosophen und Ideologen Francis Fukuyama endete im August 1991 die Menschheitsgeschichte, wobei die höchste und letzte Entwicklungsstufe der Gemeinschaft der Menschheit erreicht wurde – globale Herrschaft der liberalen Demokratie. Darüber hat er 1992 geschrieben. Über das wahre Wesen der modernen Demokratie haben wir in einem früheren Artikel gesprochen. Jetzt werden wir über wichtigere Dinge sprechen, vor allem über die Macht. Weil die Demokratie eine Machtform und eines der Instrumente für deren Verwirklichung ist. Falls eine globale allgemeine gelenkte Demokratie eine Form der Verwirklichung der Macht ist, wie sieht heute die globale Macht aus?

Was geschah tatsächlich im August 1991?

Im August 1991 übernahmen wir eine neue säkulare Religion – den Glauben an Demokratie, wobei auf den säkularen Glauben an den Kommunismus verzichtet wurde und man nicht verstand, was man mit dem neuen Glauben übernimmt. Die zivilisierte Menschheit überzeugte uns, wir sollten auf den Kommunismus verzichten, wonach man das Glück im neuen „Haus der allgemeinen Menschheit“ bekäme, über das Michail Gorbatschow so gerne sprach. In der Tat, als wir im ideologischen Kalten Krieg verloren haben, änderten sich die globale Weltordnung und die Weltmacht.

Das Haus der allgemeinen Menschheit entstand tatsächlich, doch es war nicht das Haus, von dem einer der unbegabtesten Leader unseres Landes sprach. Das Haus hatte einen vollwertigen Herrscher, seine Einwohner hatten das „Gefühl, dass es einen Herrscher gibt“. Alle Institutionen der so genannten bipolaren Welt, die das Instrument zur Abstimmung und Lösung der Widersprüche zwischen den beiden Machtzentren waren, verwandelten sich auf einmal in Instrumente der globalen Hegemonie eines Machtzentrums – der USA. Alle Institutionen der Weltordnung, darunter die UNO, wurden zu Mitteln zur Verwirklichung der globalen Hegemonie. Dort, wo sie zu diesem Zweck nicht genutzt werden konnten, wurden sie einfach ignoriert. Der Hegemon ist jedoch frei bei seiner Wahl. Das wurde verheimlicht. Doch zu Beginn der 2000er-Jahre war es unmöglich, dies weiter zu verheimlichen. Als Putin 2005 den Zerfall der Sowjetunion als „größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnete, sollten wir begreifen, dass es sich nicht nur um Millionen Menschen handelt, die auf einmal ohne Vaterland blieben, sondern vor allem um den Zusammenbruch des politischen Systems als System zur Aufrechterhaltung des Friedens und zur Verhinderung von Krieg, das die Menschheit während der zwei größten Kriege erlebte.

Das russische Konzept einer souveränen Demokratie wurde zum ersten und eindeutig nicht ausreichenden Versuch der Reflexion. Uns wurde erklärt, dass es heute keine souveräne Demokratie gibt. Demokratie ist nur eine religiöse Gestaltung der neuen Weltordnung, wo es nur einen Souverän für die ganze Welt gibt. Jeder, der dabei stören wird, die globale Souveränität zu verwirklichen, muss vernichtet werden. „Karthago muss zerstört werden“. Das ist nichts Neues. Darin bestand der wahre Inhalt des Endes der Geschichte in der europäischen Deutung, was Fukuyama verschwieg. Die europäische Geschichte endete, weil die globale Hegemonie eines Landes über der ganzen Welt gefestigt wurde. 1992 dachte man, dass ihre Umsetzung nach dem Zerfall der Sowjetunion nichts mehr gestört werde.

Die Idee der globalen Herrschaft ist eine der grundlegenden Ideen in der europäischen Zivilisation

Das Endziel der Geschichte in der wahren europäischen Deutung ist die Macht über die Welt. Nichts anderes hat die Europäer seit der Zeit von Aristoteles und Alexander dem Großen tatsächlich interessiert. Die Grenzen der eigenen Macht sehr stark auszudehnen war das wahre historische Ziel, das von Aristoteles Alexander dem Großen und der ganzen europäischen Zivilisation empfohlen wurde — und dem Imperium von Alexander dem Großen, dem Römischen Reich, den katholischen Reichen des Mittelalters, Hitler. Heute sind es die USA. Man muss erwähnen, dass auch der russische Kommunismus eine kurze Zeit das Ziel hatte, sich auf die ganze Welt auszudehnen. Wir importierten die Idee des Aufbaus einer allumfassenden Kommunistischen Welt (die wir als Anführer des kommunistischen Aufbaus regieren sollten) zusammen mit der kommunistischen Ideologie aus Westeuropa. Bereits Stalin verzichtete darauf de facto gegen Ende der 1930er Jahre. De jure wurde auf die Idee der kommunistischen globalen Herrschaft in der Nachkriegsordnung verzichtet und später in der Programmthese über eine friedliche Koexistenz von zwei Systemen und in den Helsinki-Akten.

Russland nahm zweimal in seiner Geschichte den Kurs auf die Umsetzung der Projekte der Weltherrschaft – wir stoppten Napoleon und Hitler. Dank Russland kam es nicht zu Ansprüchen auf die globale Herrschaft seitens der Franzosen und der Deutschen, obwohl sie Europa völlig in die Mangel nahmen. Im Krieg gegen Russland rechneten sowohl Napoleon als auch Hitler damit, dass die Russen selbst die unliebsame Macht stürzen würden. Für Napoleon sollten dies die unfreien Bauern und die französischsprachigen proeuropäischen Adeligen erledigen, für Hitler die von der sowjetischen Macht und Stalin Gekränkten – von den weißen Emigranten bis zu den Bauern und den Gulag-Insassen. Die Pläne gingen nicht in Erfüllung. Das heutige US-Projekt der Weltherrschaft faszinierte nicht nur Europa, sondern fast die ganze Welt. Die Tatsache, dass Russland, das damit nicht bis zum Ende einverstanden ist, wie Karthago vernichtet werden soll, ist der Gegenstand des heutigen westlichen Konsens. Die US-Amerikaner rechnen damit, dass bei diesem Krieg mit Russland die Russen selbst die hässliche Putin-Macht stürzen werden, und hoffen auf dasselbe wie einst Napoleon und Hitler. Russland soll es nicht mehr geben. Auf diesem Platz soll es einige Länder geben, die von außen gesteuert werden und Naturressourcen für die zivilisierte Welt wie gewünscht fördern. In ihrer Freizeit können sie dann Balalaika spielen, Wodka trinken und Bären züchten. Wie eine Art Ethnopark. Die Tataren können dann reiten und die Jakuten jagen.

Wir wurden einst schon betrogen – im August 1991. Wir strebten sehr nach einer einheitlichen Welt der liberalen Demokratie. Auch die Alternative in Form des Staatlichen Komitees für Ausnahmezustand war absolut wettbewerbsunfähig. Niemand ging auf die Straße, um das Komitee zu verteidigen, weil niemand seine Zukunft mit diesen schwachen Menschen verbinden wollte. Von uns wurde gefordert, auf den Kommunismus zu verzichten, jetzt wird gefordert, auf Putin zu verzichten. Dann dürfen wir uns glücklich schätzen. Hat unser Volk etwas vom August 1991 gelernt? Sicherlich, dass sich Putin von Gorbatschow stark unterscheidet. Unterscheiden er und seine machtpolitische Gruppe sich vom damaligen Komitee? Wir werden wohl gezwungen sein, dies in der nächsten Zeit zu erfahren. Die heute populären Diskussionen darüber, dass Russland isoliert gegenüber der Weltgemeinschaft ist,  sind absolut wertlos. Es gibt seit 23 Jahren keine Weltgemeinschaft mehr. Es gibt die US-amerikanische Welt und einzelne mit dieser Welt Nichteinverstandene. Man kann sich geschlagen geben, so wie man heute häufig sagt, dass man gegen Hitler aufgeben hätte können und jetzt deutsches Bier trinken würde. Und vielleicht hätte man bereits früher gegen Napoleon aufgeben sollen. Dann würden wir jetzt Croissants essen.

Nicht erobert heißt unzivilisiert

Für die westliche Welt bleiben wir unzivilisierte Barbaren. Es handelt sich dabei nicht um Kultur. Wir haben wohl eher eine europäische Kultur. Wir haben sie fast komplett aufgenommen, darunter die Philosophie, ausgenommen den Katholizismus. Freiwillig. Je schneller wir damit aufhören, die falsche kulturelle Identität beispielsweise in Euroasien zu suchen, desto besser. Es ist sehr wichtig, sich selbst nicht zu täuschen. Das Wichtigste ist: Man darf die Begriffe Kultur und Zivilisation nicht verwechseln. Wir haben eine vorwiegend europäische Kultur und die russische Zivilisation. Hier gibt es keinen Widerspruch, weil die Kultur eine globale Substanz von Normen und Mustern und die Zivilisation ein lokaler Weg zur Umsetzung der jeweiligen kulturellen Normen in einer bestimmten hierarchischen Reihenfolge ist. Nicht unbedingt jede Zivilisation bereichert die Kultur via Reflexionen. Die sowjetische Zivilisation hat es getan. Die Zivilisation ist ein ziemlich konkreter Weg des Lebens des Soziums, der durch die Macht organisiert ist. Das verstanden bereits die alten Griechen. Zivilisation ist Macht und nicht Kultur. Wir werden nur für den Westen zivilisiert, wenn wir uns ihm unterordnen. Doch falls wir erobert werden, werden wir Menschen dritter Klasse sein. Zuvor wurden wir nie erobert, also unterworfen und zivilisiert. Wir haben immer selbst aus der Weltkultur das genommen, was wir brauchten und damit Experimente gemacht. Das war nicht immer erfolgreich. Doch wir lebten in der Geschichte und kreierten auch Geschichte. Darin besteht der historische Sinn der Existenz der großen Gemeinschaften der Menschheit. Ein Volk, das nicht imstande ist, kulturell-zivilisatorische Experimente mit sich zu machen, geschweige denn dieses Recht zu verteidigen, wird unverzüglich als kulturell-historisches Subjekt verschwinden. Hier steckt das wahre Ende der Geschichte. Jedes Volk hat seine eigene Geschichte. Fukuyama hatte nicht Recht.

Dmitri Kulikow ist Produzent, Mitglied des Sinowjew-Klubs von Rossiya Segodnya


Siehe auch:

Der Sinowjew-Klub ist ein Expertenforum bei der Medienholding Rossiya Segodnya. Benannt nach dem bekannten russischen Denker Alexander Sinowjew, setzt sich der Klub das Ziel, mit fundierten Analysen und Kommentaren ein gerechtes Russlandbild zu vermitteln.

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